21.02.2015, 18:36
Mich hat's erwischt! 
Schon gestern abend liefen Kälteschauer meinen Rücken rauf und runter wie tiefgefrorene Tausendfüßler. In der Nacht mußte ich aufstehen, weil die Nase lief und man sich nicht mal eben ins Laken schneuzen kann, wenn jemand daneben liegt. Der Blick in den Spiegel heute morgen zeigt mir unverhohlen das Bild meiner Oma beim Zwiebelschneiden. Etwa 10 Kilo davon.
Ich bin mein eigener Chef, nur glaubt es mir die Versicherung nicht, wenn ich mich selbst für krank und arbeitsunfähig halte. Sie will für den Beweis meines möglichen Ablebens einen offiziellen Schein. Vom Onkel Doktor bittesehr.
Eine starke Erkältung hat meinen eigentlich doch recht widerstandsfähigen Body heimgesucht. Ich niese und huste das es mich schüttelt, pausenlos. Normalerweise würde ich mich ins Bett legen und der Sache ihren Lauf lassen, wäre da nicht ein Problem: Terminarbeit! Zähne sollten immer am besten gestern fertig sein. Niemand wartet einen Tag länger darauf. Aufs neue Auto aber schon. Komisch. Der schöne Effekt einer eventuellen Gewichtsabnahme wird mir auch niemals positiv zugeschrieben. Dabei zahlen so viele Leute freiwillig viel Geld für irgendwelche Abmagerungskuren....
Keramikkronen werden zwar bei fast 1000 Grad im Ofen gebrannt (was kaum ein Virus aushält), aber: Ich kann nicht auf meine Arbeit heruntersehen, ohne dass da was höchst Unappetitliches in die angerührte Rohkeramikmasse tropft. Das möchte ich niemandem zumuten....mir auch nicht. Mit Gesichtsmaske und Taschentuch drin dagegen ist der Erstickungstod nach wenigen Minuten garantiert.
Fieber habe ich, gefühlsmäßig zumindest, auch. Ich will ins Bett. Und zwar bescheinigt und mit Arbeitsverlustausgleich.
Erst wenn man krank ist, weiß man seine Gesundheit zu würdigen. Stimmt! Aber: Kranksein bedeutet nämlich auch das Sitzen im Wartezimmer eines Arztes… Ich hasse das!!Was kann man sich da alles wegholen......
Ich ziehe mich also schick an ( Der Herr Doktor soll mir doch wohlgesonnen sein...) und mache mich auf den Weg. Omas zugeschwollenen Augen verhilft auch wasserfester Mascara nicht zu Schick. Zum Ausgleich trage ich Decolleté, soll er doch da hinschauen....freimachen muss ich mich eh...ich hoffe nur, es gibt keine Lungenentzündung obendrauf.
Hoffentlich ist es beim Arzt nicht zu voll im Wartezimmer. Um halb 9 Uhr früh bin ich da. Vor der Praxis stehen kaum Autos. Hurra, es scheint leer zu sein! Dieser unverhoffte Lichtblick lässt mich fröhlich auf meinen hohen Hacken (auch die zur Wahrung des schönen Scheins) ins Wartezimmer einschweben. Ich fühle mich schon um mehrere Stufen genesen.
Ich reiße die Tür auf: Aaaaargh!! Viel zu warme Luft schlägt mir entgegen. Proppevoll der Raum!! Es müffelt nach schwitzenden,dick verpackten und kranken Menschen ohne genügend Sauerstoff. Sogar meine verstopfte Triefnase nimmt es rümpfend zur Kenntnis. Mein Gemüt fährt Achterbahn talabwärts in die tiefste Seelensenke. Das bedeutet wohl Stunden in dem Mief....
Ein paar wenige Plätze sind noch frei. Ich lasse also mich auf einen Stuhl fallen. Mein Sitznachbar spricht mich an: “Toll, die vielen, neuen Parkplätze hinter dem Haus des Arztes, finden Sie nicht auch ?” Wusste ich nichts davon.
Notgedrungen zähle ich die Leute durch, die vor mir da gewesen sind. So krank kann man doch gar nicht sein, dass man um sechs Uhr morgens das Bett verlässt um hier zu sitzen....Eins, zwei drei…vierzehn, fünfzehn! Jedes Gesicht scanne ich mir in meine Gehirnzellen ein. Schließlich sollen nach mir Kommende sofort als "zu spät dran" markiert werden. Von wegen vordrängeln und so… NICHT MIT MIR!!! Ich bin schließlich schwer krank!
Zur Optimierung meines Patientenerfassungs-Vordrängel-Vermeidungssytems schließe ich den Sicherheitskreis mit der obligaten Frage "wer war der letzte?". Klar entlarvt mich mein heftiger deutscher Akzent sogleich als Ausländerin. Alle gucken.
Ooooh, ich muss mich ja noch anmelden. Aufgestanden und unter den Augen aller wie auf dem Catwalk zum medizinischen Personal marschiert, so elegant wie es die Hacken zulassen. Seltsam, Arzthelferinnen sehen immer gesund und wie aus dem Ei gepellt aus! Beim ALDI an der Kasse ist mir das noch nie aufgefallen. Ärzte haben doch einen gelehrten Geschmack.
Nach den üblichen Formalitäten kehre ich ins Wartezimmer zurück. Nee, nich...., da sind doch glatt 2 neue Besucher hinzugekommen. Alle Stühle sind besetzt. Auch meiner. Ich bin fassungslos.
"Wer war der letzte?", fragt einer der neuen. Ich bin immer noch sprachlos.
Schweigen! Eine Frau zeigt auf mich und sagt: "Die da!". Was, wie, wo? Ich soll die letzte sein?? " O nein!", rufe ich dem Wer-war-der-letzte-Fragenden zu, "die Frau neben Ihnen müsste das sein, die war vorhin noch nicht hier!" "Das ist meine Frau, die hat mich nur hergebracht”, antwortet dieser, "also Sie sind die Letzte?”
Es bleibt mir nichts anderes übrig: “Ja."
Frechheit, denke ich mir, da ist aber einer penibel! Spießer! Hat wohl Angst, dass sich jemand vordrängelt. Leute gibt´s… !
Den lauten Zusatz : "Ich hätte gerne meinen Stuhl zurück", verbietet mir die Höflichkeit. Seine unrechtmäßige Besetzerin ist wesentlich dicker als ich. Wahrscheinlich braucht sie ihn mehr als ich.
Die Zeit im Wartezimmer vergeht elend schleppend. Niemand unterhält sich. Totenstille....außer dem gelegentlichen Niesen und Husten. Ob auch jemand heimlich pupst, kann ich nicht hören. Die Atemluft spricht allerdings durchaus dafür.
Alles glotzt in die von 1000 Händen abgegriffenen Zeitschriften vom letzten Jahrzehnt. Jeder leckt sich dabei die Finger an.
Wenn´s nach mir ginge, müsste ein Arzt dazu verpflichtet werden, neben angemessenen Getränken die gängigen Bestseller der "New York Times", die neuesten Kinofilme und frisches Popcorn anzubieten. Ist doch nun wirklich nicht zuviel verlangt! Schließlich ist man gezwungen, hier zu sitzen. Oder stehen.
Wie steht man elegant? Die hohen Hacken verfluche ich schon seit einigen Minuten. Bin sowieso die Einzige mit solchem Schuhwerk. Der kleine Zeh am linken Fuß reibt ganz gemein. Vorsichtig lehne ich den Rücken an die Wand und hoffe, nicht mit dem Garderobenständer verwechselt zu werden.
Eine einzige der abgeleckten Gazetten liegt noch auf dem Tisch und ich greife sie mir. "Frau und Gesundheit" von 1998!! Hab ich etwa auch so was mal angehabt? Das nackte Grausen packt mich. Mein Nachbar liest " Weidmannsheil". Man sollte die Jagd auf den Herausgeber eröffnen....
In der Not... frisst der Teufel Fliegen. Im Inhaltsverzeichnis suche ich nach der Kreuzworträtselseite: Seite 47, das Riesen-Kreuzworträtsel für die Frau, gerade richtig! Beim Aufblättern hole ich derweil in Vorfreude meinen Kugelschreiber heraus. So ein Mist!! Fast alle Felder sind schon vollgeschrieben! Ich hasse Leute, die in fremden Zeitschriften herumkritzeln!! Als wenn das deren eigene wären! Ich frage mich, warum Menschen so wenig Respekt vor fremden Eigentum haben.
Beim näheren Anschauen der Lösungen meines Vorgängers fällt mir auf: Hat dieser doch glatt bei "Hauptstadt von Finnland – 8 Buchstaben" mit Helsinki geantwortet! Nicht zu fassen, das weiß doch jeder, dass es "Kapstadt" ist. Ich verbessere den peinlichen Fehler.
"Frau Lamping, bitte" tönt es plötzlich durch den Lautsprecher im Wartezimmer. Obwohl noch 7 gescannte Patienten vor mir dran sein müssten, werde ICH, ja ICH, aufgerufen!!! Mit triumphierenden Blick verlasse ich meinen Parkplatz und lasse den Sitzenden wohlgefällig telepathisch zufliegen “Tja Leute, Privatpatient müsste man sein!”
In freudiger Erlösung meines erbärmlichen Wartezimmer-Daseins gehe ich zur Theke an der Anmeldung. Ich will mich gerade erkundigen, in welches der 3 Behandlungszimmer ich denn nun schreiten darf, da fragt mich die nahezu unverschämt junge und gesund aussehende Helferin: “Stimmt Ihre Krankenkasse noch?” Ich bejahe und will mich ins Untersuchungszimmer 1 begeben, da erreicht mich ihre Stimme "Gut, dann können Sie wieder im Wartezimmer Platz nehmen.”
Waaaaaas? Schluck… (Unverschämtheit!) .. grummel.. schmoll..
Catwalk zurück. Alles gafft. Ich meine, so manches süffisantes Lächeln zu bemerken. Nonchalant lehne ich mich wieder an meine Wand.
In unmittelbarer, lebensgefährlichen Nähe meiner Stilettos spielt ein Kind am Boden mit Bauklötzen.
Warum gibt es bei Ärzten eigentlich kein Erwachsenen-Spielzeug?
Ein anderes Kind spielt direkt neben mir mit einem Gameboy. Ich schaue ihm über die Schulter und gebe ein paar Tipps zu Mario.
“Nun lassen Sie doch das Kind mal in Ruhe alleine spielen!”, harscht mich ein dickliches Frauenzimmer von links an. Alle Zimmerwartenden schauen wieder mal auf mich. Ich merke, wie meine Gesichtshaut sich vor beschämender Ertapptheit erwärmt. Ich bin die einzig Stehende im Raum (und somit als "Looser" abgestempelt). Klar, ich bin also äußerlich schon als Nichtangehöriger der Generation von Gameboys zu erkennen.
Nach 15 Minuten des eleganten Herumstehens wird wieder ein Stuhl frei. Beim Hinsetzen jedoch erleide ich eine derartig heftige nasale Eruption, dass ich keinerlei Vorkehrungen treffen kann, die Hand zum Gesicht zu führen. Leidtragender ist das bauklotzende Kind am Boden vor mir. Die Rotzbombe trifft frontal.
Es beginnt laut zu heulen und rennt zur Mutter. “Bäääääh, die Tante da hat mich nassgespritzt…”
Feuerflammende Blicke der Umhersitzenden treffen mich schweigend, aber eindringlich. Was kann ich dafür, dass Kinder so wenig Verständnis für todgeweihte Erwachsenen haben… Obwohl jetzt nicht mehr notwendig, zücke ich aber wohlerzogen noch schnell mein Taschentuch und vergrabe mein Gesicht darin.
“Sie scheinen sich aber mächtig erkältet zu haben”, meint ein Herr rechts neben mir. “Ja”, antworte ich, “mit Fieber und Ausschlag.” Ich will ihm gerade sachlich meine tragische Krankengeschichte schildern, da steht er auf und stellt sich unter scheinheiligem Vorwand 3 Plätze weiter an die Wand. Was hat er gegen Ausschlag? Das würde ihn auch nicht mehr entstellen.....
Ungläubig schaue ich auf die Reste meiner kunstvollen Kriegsbemalung im vorher blütenweißen Taschentuch. Himmelherrgott...jetzt sehen mich alle nackt!
Meine Nachbarin links stößt mich beim Umblättern ihrer Zeitung versehentlich an. “Verzeihung”, tönt es leise aus ihr heraus und obwohl es so aussieht, als wollte sie in Ruhe weiterlesen, deute ich es doch letztlich als Kommunikationswilligkeit. Ich zeige auf ihr ödematös geschwollen scheinendes rechtes Fußgelenk und sage mitleidsvoll “Umgeknickt, was?” Trocken wie ein Sahara-Furz lässt sie mich kurz angebunden wissen, dass sie nur auf ihren Mann im Behandlungszimmer wartet und dreht sich etwas von mir ab. Dabei schlägt sie ihre Beine übereinander und ich sehe keinerlei Unterschied zu ihrem anderen Fußgelenk. Gleich dick. Passend zum Hintern.
Zweieinhalb Stunden sind nun ins Land gegangen und ich denke an den Arzt, der mir gleich mit einem rauen, platten Holzplättchen die Zunge bis weit unter den Kehlkopf quetschen wird, um meine Mundhöhle zu begutachten. Habe ich doch schon selbst zuhause mit einem Kaffeelöffel getan. Diese Holzstäbchen erinnern mich immer an Eis-Stiele, die nach dem kalten Leckgenuss aus Kostengründen weiterverwendet werden. Und mit Sicherheit presst er mir das eisigkalte Stethoskop auf die nackte Brust. Und drückt mir die Fingerspitzen in die Weichteile....und das ebenfalls eiskalte Hämmerchen.....
Auf solche Gedanken kommt man wohl nur in Wartezimmern.
Endlich werde ich ins Behandlungszimmer gerufen. Das Martyrium “Wartezimmer” ist zu Ende.
Normalerweise ist mein Hausarzt ein gutaussehender, noch relativ junger Mann aus Sizilien, mit dem ich schon manches nettes medizinisches Schwätzchen hatte.
Was mich da über den Schreibtisch anschaut, ist der Schatten seines Selbst, ein Bild des Jammers....und sieht mir auffallend ähnlich.
Auf meinen freundlichen Gruß ( Guten Morgen, Salvatore...schließlich duzen wir uns) reagiert er kaum sondern antwortet mit einem Niesen. Er hat mich wohl so nackt nicht erkannt.
Weder mein Ausschnitt noch die mörderischen Stilettos werden gebührend gewürdigt.
Ich werde weder zum "freimachen" aufgefordert, noch holt er sein Hämmerchen raus um auf mir herumzukloppen. Das Stethoskop liegt um seinen roten Hals, als wolle es ihn erdrosseln.
Während er mit einer Hand ein Taschentuch an seine Triefnase presst, holt die andere den Block der gelben Zettel aus der Schublade.
"Wie viele Tage brauchen wir?"
Schon gestern abend liefen Kälteschauer meinen Rücken rauf und runter wie tiefgefrorene Tausendfüßler. In der Nacht mußte ich aufstehen, weil die Nase lief und man sich nicht mal eben ins Laken schneuzen kann, wenn jemand daneben liegt. Der Blick in den Spiegel heute morgen zeigt mir unverhohlen das Bild meiner Oma beim Zwiebelschneiden. Etwa 10 Kilo davon.
Ich bin mein eigener Chef, nur glaubt es mir die Versicherung nicht, wenn ich mich selbst für krank und arbeitsunfähig halte. Sie will für den Beweis meines möglichen Ablebens einen offiziellen Schein. Vom Onkel Doktor bittesehr.
Eine starke Erkältung hat meinen eigentlich doch recht widerstandsfähigen Body heimgesucht. Ich niese und huste das es mich schüttelt, pausenlos. Normalerweise würde ich mich ins Bett legen und der Sache ihren Lauf lassen, wäre da nicht ein Problem: Terminarbeit! Zähne sollten immer am besten gestern fertig sein. Niemand wartet einen Tag länger darauf. Aufs neue Auto aber schon. Komisch. Der schöne Effekt einer eventuellen Gewichtsabnahme wird mir auch niemals positiv zugeschrieben. Dabei zahlen so viele Leute freiwillig viel Geld für irgendwelche Abmagerungskuren....
Keramikkronen werden zwar bei fast 1000 Grad im Ofen gebrannt (was kaum ein Virus aushält), aber: Ich kann nicht auf meine Arbeit heruntersehen, ohne dass da was höchst Unappetitliches in die angerührte Rohkeramikmasse tropft. Das möchte ich niemandem zumuten....mir auch nicht. Mit Gesichtsmaske und Taschentuch drin dagegen ist der Erstickungstod nach wenigen Minuten garantiert.
Fieber habe ich, gefühlsmäßig zumindest, auch. Ich will ins Bett. Und zwar bescheinigt und mit Arbeitsverlustausgleich.
Erst wenn man krank ist, weiß man seine Gesundheit zu würdigen. Stimmt! Aber: Kranksein bedeutet nämlich auch das Sitzen im Wartezimmer eines Arztes… Ich hasse das!!Was kann man sich da alles wegholen......
Ich ziehe mich also schick an ( Der Herr Doktor soll mir doch wohlgesonnen sein...) und mache mich auf den Weg. Omas zugeschwollenen Augen verhilft auch wasserfester Mascara nicht zu Schick. Zum Ausgleich trage ich Decolleté, soll er doch da hinschauen....freimachen muss ich mich eh...ich hoffe nur, es gibt keine Lungenentzündung obendrauf.
Hoffentlich ist es beim Arzt nicht zu voll im Wartezimmer. Um halb 9 Uhr früh bin ich da. Vor der Praxis stehen kaum Autos. Hurra, es scheint leer zu sein! Dieser unverhoffte Lichtblick lässt mich fröhlich auf meinen hohen Hacken (auch die zur Wahrung des schönen Scheins) ins Wartezimmer einschweben. Ich fühle mich schon um mehrere Stufen genesen.
Ich reiße die Tür auf: Aaaaargh!! Viel zu warme Luft schlägt mir entgegen. Proppevoll der Raum!! Es müffelt nach schwitzenden,dick verpackten und kranken Menschen ohne genügend Sauerstoff. Sogar meine verstopfte Triefnase nimmt es rümpfend zur Kenntnis. Mein Gemüt fährt Achterbahn talabwärts in die tiefste Seelensenke. Das bedeutet wohl Stunden in dem Mief....
Ein paar wenige Plätze sind noch frei. Ich lasse also mich auf einen Stuhl fallen. Mein Sitznachbar spricht mich an: “Toll, die vielen, neuen Parkplätze hinter dem Haus des Arztes, finden Sie nicht auch ?” Wusste ich nichts davon.
Notgedrungen zähle ich die Leute durch, die vor mir da gewesen sind. So krank kann man doch gar nicht sein, dass man um sechs Uhr morgens das Bett verlässt um hier zu sitzen....Eins, zwei drei…vierzehn, fünfzehn! Jedes Gesicht scanne ich mir in meine Gehirnzellen ein. Schließlich sollen nach mir Kommende sofort als "zu spät dran" markiert werden. Von wegen vordrängeln und so… NICHT MIT MIR!!! Ich bin schließlich schwer krank!
Zur Optimierung meines Patientenerfassungs-Vordrängel-Vermeidungssytems schließe ich den Sicherheitskreis mit der obligaten Frage "wer war der letzte?". Klar entlarvt mich mein heftiger deutscher Akzent sogleich als Ausländerin. Alle gucken.
Ooooh, ich muss mich ja noch anmelden. Aufgestanden und unter den Augen aller wie auf dem Catwalk zum medizinischen Personal marschiert, so elegant wie es die Hacken zulassen. Seltsam, Arzthelferinnen sehen immer gesund und wie aus dem Ei gepellt aus! Beim ALDI an der Kasse ist mir das noch nie aufgefallen. Ärzte haben doch einen gelehrten Geschmack.
Nach den üblichen Formalitäten kehre ich ins Wartezimmer zurück. Nee, nich...., da sind doch glatt 2 neue Besucher hinzugekommen. Alle Stühle sind besetzt. Auch meiner. Ich bin fassungslos.
"Wer war der letzte?", fragt einer der neuen. Ich bin immer noch sprachlos.
Schweigen! Eine Frau zeigt auf mich und sagt: "Die da!". Was, wie, wo? Ich soll die letzte sein?? " O nein!", rufe ich dem Wer-war-der-letzte-Fragenden zu, "die Frau neben Ihnen müsste das sein, die war vorhin noch nicht hier!" "Das ist meine Frau, die hat mich nur hergebracht”, antwortet dieser, "also Sie sind die Letzte?”
Es bleibt mir nichts anderes übrig: “Ja."
Frechheit, denke ich mir, da ist aber einer penibel! Spießer! Hat wohl Angst, dass sich jemand vordrängelt. Leute gibt´s… !
Den lauten Zusatz : "Ich hätte gerne meinen Stuhl zurück", verbietet mir die Höflichkeit. Seine unrechtmäßige Besetzerin ist wesentlich dicker als ich. Wahrscheinlich braucht sie ihn mehr als ich.
Die Zeit im Wartezimmer vergeht elend schleppend. Niemand unterhält sich. Totenstille....außer dem gelegentlichen Niesen und Husten. Ob auch jemand heimlich pupst, kann ich nicht hören. Die Atemluft spricht allerdings durchaus dafür.
Alles glotzt in die von 1000 Händen abgegriffenen Zeitschriften vom letzten Jahrzehnt. Jeder leckt sich dabei die Finger an.
Wenn´s nach mir ginge, müsste ein Arzt dazu verpflichtet werden, neben angemessenen Getränken die gängigen Bestseller der "New York Times", die neuesten Kinofilme und frisches Popcorn anzubieten. Ist doch nun wirklich nicht zuviel verlangt! Schließlich ist man gezwungen, hier zu sitzen. Oder stehen.
Wie steht man elegant? Die hohen Hacken verfluche ich schon seit einigen Minuten. Bin sowieso die Einzige mit solchem Schuhwerk. Der kleine Zeh am linken Fuß reibt ganz gemein. Vorsichtig lehne ich den Rücken an die Wand und hoffe, nicht mit dem Garderobenständer verwechselt zu werden.
Eine einzige der abgeleckten Gazetten liegt noch auf dem Tisch und ich greife sie mir. "Frau und Gesundheit" von 1998!! Hab ich etwa auch so was mal angehabt? Das nackte Grausen packt mich. Mein Nachbar liest " Weidmannsheil". Man sollte die Jagd auf den Herausgeber eröffnen....
In der Not... frisst der Teufel Fliegen. Im Inhaltsverzeichnis suche ich nach der Kreuzworträtselseite: Seite 47, das Riesen-Kreuzworträtsel für die Frau, gerade richtig! Beim Aufblättern hole ich derweil in Vorfreude meinen Kugelschreiber heraus. So ein Mist!! Fast alle Felder sind schon vollgeschrieben! Ich hasse Leute, die in fremden Zeitschriften herumkritzeln!! Als wenn das deren eigene wären! Ich frage mich, warum Menschen so wenig Respekt vor fremden Eigentum haben.
Beim näheren Anschauen der Lösungen meines Vorgängers fällt mir auf: Hat dieser doch glatt bei "Hauptstadt von Finnland – 8 Buchstaben" mit Helsinki geantwortet! Nicht zu fassen, das weiß doch jeder, dass es "Kapstadt" ist. Ich verbessere den peinlichen Fehler.
"Frau Lamping, bitte" tönt es plötzlich durch den Lautsprecher im Wartezimmer. Obwohl noch 7 gescannte Patienten vor mir dran sein müssten, werde ICH, ja ICH, aufgerufen!!! Mit triumphierenden Blick verlasse ich meinen Parkplatz und lasse den Sitzenden wohlgefällig telepathisch zufliegen “Tja Leute, Privatpatient müsste man sein!”
In freudiger Erlösung meines erbärmlichen Wartezimmer-Daseins gehe ich zur Theke an der Anmeldung. Ich will mich gerade erkundigen, in welches der 3 Behandlungszimmer ich denn nun schreiten darf, da fragt mich die nahezu unverschämt junge und gesund aussehende Helferin: “Stimmt Ihre Krankenkasse noch?” Ich bejahe und will mich ins Untersuchungszimmer 1 begeben, da erreicht mich ihre Stimme "Gut, dann können Sie wieder im Wartezimmer Platz nehmen.”
Waaaaaas? Schluck… (Unverschämtheit!) .. grummel.. schmoll..
Catwalk zurück. Alles gafft. Ich meine, so manches süffisantes Lächeln zu bemerken. Nonchalant lehne ich mich wieder an meine Wand.
In unmittelbarer, lebensgefährlichen Nähe meiner Stilettos spielt ein Kind am Boden mit Bauklötzen.
Warum gibt es bei Ärzten eigentlich kein Erwachsenen-Spielzeug?
Ein anderes Kind spielt direkt neben mir mit einem Gameboy. Ich schaue ihm über die Schulter und gebe ein paar Tipps zu Mario.
“Nun lassen Sie doch das Kind mal in Ruhe alleine spielen!”, harscht mich ein dickliches Frauenzimmer von links an. Alle Zimmerwartenden schauen wieder mal auf mich. Ich merke, wie meine Gesichtshaut sich vor beschämender Ertapptheit erwärmt. Ich bin die einzig Stehende im Raum (und somit als "Looser" abgestempelt). Klar, ich bin also äußerlich schon als Nichtangehöriger der Generation von Gameboys zu erkennen.
Nach 15 Minuten des eleganten Herumstehens wird wieder ein Stuhl frei. Beim Hinsetzen jedoch erleide ich eine derartig heftige nasale Eruption, dass ich keinerlei Vorkehrungen treffen kann, die Hand zum Gesicht zu führen. Leidtragender ist das bauklotzende Kind am Boden vor mir. Die Rotzbombe trifft frontal.
Es beginnt laut zu heulen und rennt zur Mutter. “Bäääääh, die Tante da hat mich nassgespritzt…”
Feuerflammende Blicke der Umhersitzenden treffen mich schweigend, aber eindringlich. Was kann ich dafür, dass Kinder so wenig Verständnis für todgeweihte Erwachsenen haben… Obwohl jetzt nicht mehr notwendig, zücke ich aber wohlerzogen noch schnell mein Taschentuch und vergrabe mein Gesicht darin.
“Sie scheinen sich aber mächtig erkältet zu haben”, meint ein Herr rechts neben mir. “Ja”, antworte ich, “mit Fieber und Ausschlag.” Ich will ihm gerade sachlich meine tragische Krankengeschichte schildern, da steht er auf und stellt sich unter scheinheiligem Vorwand 3 Plätze weiter an die Wand. Was hat er gegen Ausschlag? Das würde ihn auch nicht mehr entstellen.....
Ungläubig schaue ich auf die Reste meiner kunstvollen Kriegsbemalung im vorher blütenweißen Taschentuch. Himmelherrgott...jetzt sehen mich alle nackt!
Meine Nachbarin links stößt mich beim Umblättern ihrer Zeitung versehentlich an. “Verzeihung”, tönt es leise aus ihr heraus und obwohl es so aussieht, als wollte sie in Ruhe weiterlesen, deute ich es doch letztlich als Kommunikationswilligkeit. Ich zeige auf ihr ödematös geschwollen scheinendes rechtes Fußgelenk und sage mitleidsvoll “Umgeknickt, was?” Trocken wie ein Sahara-Furz lässt sie mich kurz angebunden wissen, dass sie nur auf ihren Mann im Behandlungszimmer wartet und dreht sich etwas von mir ab. Dabei schlägt sie ihre Beine übereinander und ich sehe keinerlei Unterschied zu ihrem anderen Fußgelenk. Gleich dick. Passend zum Hintern.
Zweieinhalb Stunden sind nun ins Land gegangen und ich denke an den Arzt, der mir gleich mit einem rauen, platten Holzplättchen die Zunge bis weit unter den Kehlkopf quetschen wird, um meine Mundhöhle zu begutachten. Habe ich doch schon selbst zuhause mit einem Kaffeelöffel getan. Diese Holzstäbchen erinnern mich immer an Eis-Stiele, die nach dem kalten Leckgenuss aus Kostengründen weiterverwendet werden. Und mit Sicherheit presst er mir das eisigkalte Stethoskop auf die nackte Brust. Und drückt mir die Fingerspitzen in die Weichteile....und das ebenfalls eiskalte Hämmerchen.....
Auf solche Gedanken kommt man wohl nur in Wartezimmern.
Endlich werde ich ins Behandlungszimmer gerufen. Das Martyrium “Wartezimmer” ist zu Ende.
Normalerweise ist mein Hausarzt ein gutaussehender, noch relativ junger Mann aus Sizilien, mit dem ich schon manches nettes medizinisches Schwätzchen hatte.
Was mich da über den Schreibtisch anschaut, ist der Schatten seines Selbst, ein Bild des Jammers....und sieht mir auffallend ähnlich.
Auf meinen freundlichen Gruß ( Guten Morgen, Salvatore...schließlich duzen wir uns) reagiert er kaum sondern antwortet mit einem Niesen. Er hat mich wohl so nackt nicht erkannt.
Weder mein Ausschnitt noch die mörderischen Stilettos werden gebührend gewürdigt.
Ich werde weder zum "freimachen" aufgefordert, noch holt er sein Hämmerchen raus um auf mir herumzukloppen. Das Stethoskop liegt um seinen roten Hals, als wolle es ihn erdrosseln.
Während er mit einer Hand ein Taschentuch an seine Triefnase presst, holt die andere den Block der gelben Zettel aus der Schublade.
"Wie viele Tage brauchen wir?"
Viele liebe Gruesse, Macala 
Glückliche Patentante von nadinebe
Glückliche Patentante von nadinebe
