Auch glaube ich, dass jemand, der in seiner Praxis Faltenunterspritzungen und ähnliche kosmetische Behandlungen anbietet, bereits für sich entschlossen und geklärt hat, dass es legitim ist (für Kunden wie Behandler) auf diese Weise zu vermeintlich mehr Jugendlichkeit und Schönheit zu verhelfen. Sonst könnte er seine Praxis ja auch gleich zusperren. (Ein Autohändler wird einen ja auch nicht zum passionierten Radfahrer machen wollen)
Und grundsätzlich denke ich, ist das Streben nach Schönheit (was auch immer man darunter versteht) durchaus natürlich und seit jeher Teil der menschlichen Gesellschaft (und wenn man sich das bunte Gefieder und Balzverhalten bei Vögeln ansieht, offenbar auch dort nicht ganz unwichtig).
Die Frage nach der Grenzziehung ist natürlich schwierig und es kommt immer auf den Typen an. Es gibt Frauen, die ihre grauen Haare einfach lassen und sagen "so bin ich halt, ich finde das natürlich, ich fühle mich wohl damit." und es gibt Leute, die sagen, "Ich möchte meine Haare gerne färben, so fühle ich mich authentischer und wohler" (und aus eigener familiärer Erfahrung: es gibt auch solche, die von einem zum anderen wechseln

Außerdem muss man glaube ich bei dieser Frage unterscheiden:
- ethische Gesichtspunkte (findet man es grundsätzlich gut, etwas zu verändern, nachzuhelfen, etc.)
- psychische Gesichtspunkte (schließt an die ethischen an)
- medizinische Gesichtspunkte (Risiko einer Behandlung)
- ethisch: wie oben erwähnt, hat man diesen Punkt in der Regel für sich ja bereits geklärt und das ist eine persönliche Entscheidung
- psychisch: kommt jemand alle zwei Wochen und will Botox oder Falten wegspritzen, wo keine mehr sind? Hat jemand schon die Mundwinkel bis hinter die Ohren getackert und ist immer noch nicht zufrieden? --> Die Wahrscheinlichkeit, dass ein weiterer Eingriff hilft, dass es der Person gut geht, ist gleich Null und hier sollte tatsächlich eine andersartige Therapie ansetzen. Kommt eine Mutter von drei Kindern, die sich ihr Leben lang abgerackert hat für die Familie, alle ihre Bedürfnisse hinten angestellt hat, sich - auch kosmetisch-pflegerisch nicht um sich gekümmert hat - und wurde jetzt vielleicht noch verlassen oder die Kinder sind endlich aus dem Haus und sie sagt "So, und jetzt möchte ich mir was Gutes tun, mich gut fühlen und die Furchen, die mein hartes Leben auf meinem Gesicht hinterlassen hat, etwas abmildern lassen", kann (!) es legitim sein zu sagen "jawohl, wir machen das."
- medizinisch: auch hier gibt es verschiedene Stufen und verschiedene Typen. Wenn jemand eher empfindlich ist und eine schlechte Konstitution oder Wundheilung hat, wird er wahrscheinlich schon selbst nicht auf die Idee kommen, sich irgendwelche Mittelchen ins Gesicht spritzen zu lassen. Aber auch Risikoabwägung ist eine sehr persönliche Sache. Ich persönlich muss keine steile Bergwand hochklettern, um Spaß zu haben oder meinen Seelenfrieden zu finden, es gibt aber genügend Leute, die das anders sehen ;-)
Als weitere gedankliche Hilfe bei der Grenzziehung ist vielleicht der folgende Gedanke ganz nützlich: Was soll erreicht werden? Möchte man einen natürlichen (ggf. früheren) Zustand herstellen/erhalten? (Bspw. Brustimplantat nach Krebs, Faltenminderung, Entfernung männlichen Haarwuchses bei Frauen, etc.) Oder soll etwas tendenziell unnatürliches/ungesundes gemacht werden? (Brustimplantat in riesiger Größe, Schlauchbootlippen, Rippenentfernung).
Wobei ich ja sagen muss, ich habe in meinem Leben genau von zwei Personen gehört, die diese Rippengeschichte haben machen lassen: Sophia Wollersheim und Pamela Anderson.
Ich glaube also, dass das kein wirklich flächendeckendes Problem ist, womit Ärzte oder gar Heilpraktiker zu tun bekommen. Könnte mir vorstellen, dass die Frage nach Möglichkeiten der Tattoo-Entfernung in zehn bis zwanzig Jahren wesentlich dringlicher sein wird, wenn man sich so umschaut ;-)
If it's not okay, it's not the end.
